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Spitze und
Breite - ein altes Thema |
" ' Damit sich hundert körperlich
betätigen, müssen fünfzig Sport treiben, müssen sich zwanzig spezialisieren. Zur
Spezialisierung von zwanzig ist es erforderlich, dass fünf zu außergewöhnlichen
Leistungen fähig sind.'
Darin stimme ich dem französischen Humanisten und Begründer der modernen
Olympischen Spiele - Baron Pierre de Coubertin - zu, obwohl dieser ein ausgesprochener
Feind des Frauensports war."
"Ich setze zu seiner
These sogar noch eins drauf und sage, daß von den fünf einer das Zeug hat, zur
Elite zu stoßen. Auch dem Baron lag nicht so sehr an den fünf als an den hundert, die
sich sportlich betätigen, die aber letztendlich auch das Vorbild und Beispiel der fünf
begeistert und gewonnen hatte. Auch wenn er vor einhunderte Jahren mehr die Männer als
die Frauen im Blick hatte.Ich will aus meiner Sicht damit sagen, daß Spitzensport und
Breitensport in Wechselbeziehung stehen und Wechselwirkungen auslösen. Es ist ein
einfaches Naturgesetz in unserer vergänglichen Welt - ein dualer Vorgang - darum dürfen
Leistungssport und Breitensport nicht getrennt und einpolig betrachtet werden. Sie
gehören zusammen, sind abhängig voneinander und bedingen einander. Unter Breitensport
verstehe ich die verschiedensten Arten des Freizeitsports, Wettkampfsports in den Klassen
und Ligen. |
Erika Zuchold, Juan Antonio Samaranch
1996
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Jene sportliche Betätigung, die sich nicht das Ziel setzt, sportliche
Höchstleistungen zu vollbringen. Diese Art von Sporttreiben befriedigt einfach die
Bedürfnisse von Millionen von Menschen. Dabei denke ich zum Beispiel an das traditionelle
alljährliche Friedrich-Ludwig-Jahn-Turnfest in Freyburg an der Unstrut, wo sich jung und
alt, zwischen 15 und 95 und noch älter zum Wettkampfsport auf der Wiese treffen. Ich habe
als frühere Weltmeisterin dort genauso gern mitgeturnt, wie später als
Freizeitsportlerin und bin bis auf den Tag dem Freyburger Treffen treu geblieben, wenn
auch im vergangenen Jahr nur bei Siegerehrungen. |
Aber Anregungen zum Sport
treiben erhielten Millionen durch Vorbilder, deren Leistungen und Erfolge zum
Nacheifern anregten, sich mit dem Vorbild zu identifizieren. Das Vorbild von Olympioniken
ist vor allem für die jüngeren Generationen, für Kinder und Jugendliche von großer
Bedeutung. Es wird zum Anstoß, selbst Sport zu treiben. Als vor Jahrzehnten der
Magdeburger Radrennfahrer Gustav-Adolf Schur durch die Internationale Friedensfahrt Anfang
der 50er Jahre so populär wurde, ahmten die Kinder begeistert ihrem "Täve" -
wie er im Volksmund genannt wurde - auf den Strassen nach.
Mit Michael Schumacher ist das heute nicht anders.
So wie z.B. der Turnsport seit Friedrich Ludwig Jahns
Zeiten zu den Menschen gehörte, so ist er im Sinne von Baron Pierre de Coubertin in
unserer hochtechnisierten Gegenwart ein lebensnotwendiger Bestandteil geworden. Er
integriert besondere Tugenden, wie Disziplin, Ausdauer in der Sache, Kreativität und
nicht zu vergessen - die Ästhetik, alles Eigenschaften, die gerade in den Zeiten der
Werteverluste und des schnelllebigen Konsums wieder an Bedeutung gewinnen müssen und
werden. Darum muss das Turnen wieder forciert und modern propagiert werden.
Simeonescu, Cottbus 2000
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Wie kommt das deutsche
Frauenturnen wieder aus dem Keller? |
Maria Simionescu, die Vizepräsidentin des TK
Frauenturnen in der FIG, bedauerte dieser Tage beim Turnier der Meister in
Cottbus den Leistungsrückstand des deutschen Frauen-Turnsports. Schliesslich gehörten
wir in den sechziger und siebziger Jahren und auch später zur absoluten Weltspitze. Ich
meine damit vor allem den Bereich des DTV der DDR, der von meiner ehemaligen Trainerin
Ellen Berger wesentlich geprägt wurde - der späteren langjährigen Präsidentin des
Technischen Komitees des Weltverbandes. |
Unsere Riege verpaßte z.B 1970 nur
äußerst knapp den Titel zu den Weltmeisterschaften Ljubljana, hatte nach der Pflicht
sogar in Führung gelegen und wurde Zweite hinter der UdSSR.
Unsere damalige Mannschaftstrainerin war Christa
Herrmann, bis vor kurzem Hauptkampfrichterin im DTB, dem sich der DTV vor knapp zehn
Jahren angeschlossen hatte. Um den Anschluß zur Weltspitze wieder herstellen zu können,
bedarf es erfahrungsgemäß vieler grundlegender organisatorischer, trainingsmethodischer
und die Wettkampfplanung betreffende Veränderungen. Christa Herrmann z.B. besass diesen
Fundus. Aber nicht nur sie, auch viele Jüngere, die heute in anderen Berufen arbeiten,
wie eine Steffi Biskupek-Kräker oder eine Angelika Hellmann, weil für sie im deutschen
Spitzenturnen kein lukrativer Platz mehr war. Ob man in anderen Ländern mit solch'
innovativen personellen Ressourcen ebenso leichtfertig umgeht...? |
Erika Zuchold and Christa Herrmann
(coach),
on the podium, World Championships 1970:
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Man muss auch den Turnsport in der
untersten Ebene (Vorschulalter und Grundschule) wieder attraktiver gestalten, zum
Beispiel auch durch gezielte Kontakte mit ehemaligen erfolgreichen Spitzenathleten. Das
geht sicher auch weit über den DTB, den DSB hinaus, das sollte auch ein Aufgabenbereich
der Kultusministerien in den einzelnen Ländern sein. Die riesengroße Versäumnisse
betreffs Bewegungsarmut unserer Kinder sind schon beängstigend - hier widmet man
demTurnsport leider nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit!
Sichtung, Auswahl, territoriale Konzentration
und Förderung von Talenten in speziellen Sportschulen sind unerlässlich - wie
die Fußball-Sportschule in Leipzig oder Turnschulen in den USA, Frankreich, Australien
oder Spanien, Griechenland oder auch in den ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrages.
In einem Team müssen hochqualifizierte Turn- und Akrobatiktrainer, Tanzpädagogen,
Psychologen, Physiotherapeuten und Sportärzte arbeiten. Das ist die Grundvoraussetzung
für Weltspitzenleistungen neben der Begeisterungsfähigkeit aller. Aber dazu gehören
auch sehr viel Geld, und vor allem begeisterungsfähige Leute und Funktionäre, die das
wirklich wollen, denn Sponsoren geben nur Geld, wenn man sie von einem Projekt begeistern
kann.
1964: The very first Flic Flac on beam
in the world
Erika Zuchold and coach Ellen Berger
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Voraussetzung zum Erfolg
sind täglich zwei bis drei Trainingseinheiten an den Geräten, einschließlich
athletischer Ausbildung. Solch ein Pensum ist nur in einem abgestimmten Schul- und
Bildungssystem zu realisieren. Meines Wissens trainieren aber die deutschen Turnerinnen
derzeit nur fünfzig bis sechzig Prozent dessen, was die Riegen der besten sechs Länder
absolvieren. Es allein in Stunden aufzurechnen ist nicht günstig, entscheidend ist die
Komplexität aller Dinge, die am Ende die grosse Leistung und die grosse Persönlichkeit
ausmachen, die das alles selbst so will! Gut
wäre es, die besten 20 Turnerinnen in einen erweiterten Kaderkreis der Nationalmannschaft
des DTB zu berufen, der praktisch zwei Olympia-Zyklen vereint. Die Kleinen könnten da von
den Großen lernen und sich vieles abschauen. Und warum die Großen nicht auch von den
Kleinen? Diesbezüglich habe ich die besten Erfahrungen in meiner eigenen Laufbahn machen
können.
Neben nationalen Wettbewerben sind acht bis zehn
internationale Wettkämpfe wie Länderkämpfe, internationale Pokalwettbewerbe, Turniere
etc., erforderlich, um bei den Turnerinnen die Basis für ein sicheres und selbstbewußtes
Auftreten bei EM, WM und dem Höhepunkt Olympische Spiele zu legen.
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Leistung nur in der
"Retorte" zu produzieren, ist nicht möglich.
Und natürlich müssen Reglement und Bewertung, müssen die nationalen Kampfrichterinnen
in den Ausbildungsprozess einbezogen werden. Nur vor ihren gestrengen und nicht
unkritischen Augen entwickeln sich Persönlichkeiten, wird den Turnerinnen die Angst
genommen. Wie ich hörte, sind diesbezüglich bei der jüngsten WM in China eingige Fehler
gemacht worden, hat man den Turnerinnen Dinge vorgegaukelt, die unrealistisch waren. |
Ich glaube, auch in Deutschland sollte es
möglich werden, wieder eine Turnelite zu haben, die sich mit den Mädchen aus
den USA und Russland, aus Australien und Rumänien, aus Frankreich, der Ukraine oder
Griechenland und China messen kann. Unsere kleinen Turnerinnen sollten sich auch bald
wieder ihre Vorbilder im eigenen Turner-Bund suchen können.
Man muß und kann das Ausbildungssystem in Deutschland ändern.
Wenn man es nicht tut, sollte man auch nicht mehr träumen,
zur Spitzengruppe in der Welt irgendwann mal wieder zu gehören...
Auf alle Fälle gehören meine Sympathien allen deutschen
Turnerinnen, die sich um ihre olympischen Chancen mühen. Vielleicht achte ich einmal
besonders auf den Weg Katja Abels , mit deren Mutter Irene Abel ich in München 1972 die
olympische Silbermedaille erturnt habe."
Turnfeststadt Leipzig, im April 2000 |
Erika Zuchold
Ex-Turnweltmeisterin |
VERNISSAGE ERIKA ZUCHOLD
Erika Zuchold eröffnete
am 10.April 2000 in den Räumen des Organisationsbüros des 31. Deutschen
Turnfestes in Leipzig 2002, in den AXIS-Passagen der Management-parc GmbH in der
Schumann-Strasse in Leipzig eine Vernissage
eines Querschnittes ihrer Arbeiten.
Am 13.April
(19.30 Uhr stellt sie "Malerei, Graphiken, Skulpturen" im Audi-Autohaus in
Wurzen, Schiemannstr.2, aus.
Anfang Juni plant sie - mit Unterstützung des Österreichischen
Fachverbandes für Turnen ÖFT - eine Ausstellung und Lesungen in der Mozartstadt
Salzburg/Österreich.
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The artist Erika Zuchold
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>>
Siehe Ausstellung:
BERÜHRUNGEN" im Hotel Interconti, Leipzig aus Anlass des
Deutschen
Turnfestes 2002
>> ... siehe Ausstellung
"BEWEGUNGEN", Januar 2003, Wohnungsgenossenschaft NEUES
BERLIN |
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