02. Oktober 2019  
Stuttgart, GER  
WM

1989, 2007, 2019 - Stuttgart zum 3. Mal WM-Gastgeber

... eine deutsche Rückblende


Unglaubliche 30 Jahre ist es her, als die Schwabenmetropole die 25. Turn-Weltmeisterschaften 1989 austrug. Nach Dortmund 1966 erst die zweite deutsche Gastgeberstadt in der Turngeschichte und dies inmitten der sich damals abzeichnenden und in Folge rasant vollziehenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der damaligen "Noch-DDR".
In den WM-Tagen von Stuttgart war da in der Zeitung mit den "großen Buchstaben" zu lesen: "Mittwoch: Honeckers letzter Arbeitstag", und während sich das kleine "deutsche Ländle" im Osten gerade aufzulösen schien, mussten da junge Leute im DDR-Trikot körperlich und mental alles geben, kannten sie doch bislang nichts anderes, als eben unter ihrer "Hammer-Zirkel-und Ährenkranz-Flagge" ihren Staatsauftrag zu erfüllen: Die Überlegenheit des Sozialismus zu dokumentieren, als "Diplomaten im Trainingsanzug"!

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Klassenkampfschlachten: Ost-Frust und West-Euphorie
Heftigstes Ereignis in den denkwürdigen Oktobertagen war auch das peinliche Ringe-Fehlurteil zwischen dem Ost-Berliner Andreas Wecker und dem West-Hannoveraner Andreas Aguilar.
* Vorwurf Ost
„... der größten Betrugsskandal der Turngeschichte...!“
– weil die Akteure allerdings in umgekehrter Medaillenreihenfolge auf dem Podium standen, entgegen jeder nominaler Schwierigkeitsinhalte und auch für Laien qualitativ sichtbarer Ausführungsunterschiede!
“Absprachegemäß wären doch zwei deutsche Ringe-Weltmeister die in diesen verrückten Tagen sinnvollste Entscheidung, sogar mit historischer Tragweite gewesen“, sinniert der damalige DTV-Generalsekretär Klaus Heller heute. „Das hätten sogar wir DDR-seitig akzeptiert, obwohl sogar dagegen die objektiven Fakten gesprochen hätten! Aber verhindert hat das wohl damals Ringe-Oberkampfrichter ...!“

* Euphorie West: Nach dem „erklärten“ Ringesieg des Andreas Aguilar (- der faire Sportsmann hatte sogar später Andreas Wecker die Übergabe der Goldmedaille angeboten...!) war man nahezu blind vor Jubel. Der Gastgeber mit einem unerwarteten WM-Sieg, der sonst seit Giengers Zeiten medaillienlosen DTB-Turner ... ließ Objektivität so gut wie gar nicht zu, keine Spur von einer selbst vagen Ahnung eines sich bald wiedervereinigenden Deutschlands...!
Kein Vorwurf! Tatsachen, wer wusste schon, wo’s hinläuft in diesen Tagen...

Historische deutsche Turnleistungen
So gesehen muss man es als historisches Erfordernis sehen, echte Leistungen vor der Geschichte anzuerkennen. Getrennt vom ideologischen Ballast die Frage: Was sollte, was darf  und was muss Bestand haben im öffentlichen Bewusstsein?
Dies fällt der Gesellschaft in vielen Bereichen leider noch heute sehr schwer, aber es wächst des Selbstbewusstsein der Ostdeutschen, diese Analyse längst selbst vorzunehmen.
* * *
Dreißig Jahre und 20 Weltmeisterschaften später sind natürlich auch die internationalen Helden dieser ersten Stuttgarter WM nicht vergessen:
- Die unvergleichliche Mehrkampfsiegerin Swetlana Boginskaja, deren "Luftgitarre als Schlussakkord" ihrer einmaligen Bodenübung ich noch immer vor Augen und Ohren habe und die sich mit Rumäniens Daniela Silivash den Bodentitel, vor Christina Bontas, teilte ...;
- oder der Mehrkampfchampion Igor Korobtschinski aus der späteren Ukraine, der es insgesamt und später auf dreimal WM-Gold in Folge am Boden brachte.
Nicht zu vergessen der professionelle, kreative und umsichtige Organisationstab um STB-Chef Robert Baur, dessen gesamtes Team auch später diesen WM-Standort beim "DTB-Pokal" zum "Wimbledon des Kunstturnens" entwickelte und dessen umsichtige und warmherzige Pressebetreuerin Ingrid Flogaus uns Fernsehleuten das Arbeiten zur Freude werden ließ oder der höchst-geforderte damalige DTB-Pressechef Wolfgang Staiger, der in den WM-Tagen mit sehr vielen, sehr "komplexen deutsch-deutschen" Probleme konfrontiert war ... und noch viel mehr gäbe es zu sagen, insbesondere, was die Top-Leistungen der Athleten beträfe ....

♦ Ach ja, und da gab es ja 2007 auch noch eine weitere, die 25. Jubiläums-Weltmeisterschaft mit einem grandiosen Fabian Hambüchen ...

Und trotzdem seien mir die eingeschränkten, etwas sehr deutschen Erinnerungen an 1989 gestattet, war doch diese Stuttgarter und letzte WM auf geteiltem deutschen Boden eben etwas ganz Besonderes.
* Eckhard Herholz (GYMmedia INTERNATIONAL)
  1989 TV-WM- Reporter des DFF der DDR.