15. Juni 2014  
Schmiden, Halle  
Rhythmische Gymnastik

Deutsche Gymnastin beschreibt erschreckende Zustände...

Von der deutschen Rhythmischen Sportgymnastik war von deren Europameisterschaften aus Baku wenig Positives zu vermelden: Unter den Top-20-Einzelgymnastinnen war keine dabei, weil im Vorjahr nicht qualifiziert. Die Gruppe belegt Platz 11 im Mehrkampf - schlechter als erhofft - schaffte gerade so (8.) ein Finale am Abschlusstag und wenn man im Teamwettbewerb der Juniorinnen von 33 beteiligten europäischen Nationen Rang 18 belegt und mit den Einzelleistungen der beiden beteiligten, allerdings noch sehr jungen Mädchen im Schnitt Geräteplätze zwischen einem 20. und dem 40. Rang erreicht - also zumeist nicht einmal unter die besten Dreißig kommt - sollte man wohl schlicht das "System dahinter" in Frage stellen.
Ein offener Brief ...
In diesem sportlichen Leistungsbild beherrscht leider nicht etwa die sachliche Analyse der Ursachen dieses Leistungsbildes die Szenerie, sondern es erreichte uns ein "Hilferuf einer verletzten Seele", einer Schutzbedürftigen, und suchte somit das Licht der Öffentlichkeit, der wohl dringlichsten Handlungsbedarf erfordert: Ein noch vor kurzem Mitglied der deutschen Nationalgruppe der Rhythmischen Sportgymnastik, das in Baku kurzfristig nicht zum Einsatz kam, hat einen erschütternden, offenen Brief geschrieben, der unserer Redaktion vorliegt. Ihre Mutter hat bei der Polizei gar Anzeige erstattet, Anzeige wegen "Körperverletzung" und wegen "unrechtmäßiger Medikamentenvergabe" ...!!

Lächelnde Mädchen: Die deutsche Nationalgruppe mit Katja LUSHIK (2. v. li.) bei einem ihrer Auftritte...

Katerina Lushik (16)

Soweit die Sachlage. Hier dazu einige Fakten,
- geschildert von der 16-jährigen Hallenserin Katerina Luschik,
Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft Gruppe, Rhythmische Sportgymnastik
- erschüttert zur Kenntnis genommen und in Auszügen veröffentlicht und kommentiert von Eckhard Herholz (GYMmedia INTERNATIONAL)
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"Schläge, Hunger (Essensverbot), 'Medikamenten'vergabe durch Trainerinnen, Beschimpfungen, Beleidigungen ..."

Katja: "
Es war im März, beim zweiten Weltcup der Saison in Thiais. Wenige Minuten vor unserem Auftritt stehe ich konzentriert da, mit geschlossenen Augen ... ich brauch' das, um mich mental zu sammeln, schließlich will ich mein Bestes für die Gruppe geben. Und unsere Übungen sind derart komplex, dass man nochmal einige schwierige Passagen im Kopf durchgeht... In diesem Moment erhalte ich einen derart schmerzhaften Schlag ins Gesicht - wie gesagt: unvermittelt und bei geschlossenen Augen ... dass ich zusammenzuckte, hab' absolut nicht gewusst, was da geschah ...!
"Werde wach...!" - hörte ich da meine verantwortliche Trainerin sagen, die wohl der Ansicht war, das ich eine Ruhepause eingelegt hätte. Neben mir standen Sara Radmann und Teamkollegin Anastasija Khmelniytskaja...  (Ein "Tätscheln zur Muskelerwärmung", wie meine Trainerin später beschwichtigend sagte, sieht wohl anders aus. Und Muskeln im Gesicht sollten vorwiegend zum Lächeln da sein.)
Neben dem Schmerz war ich zunächst sehr wütend, wollte erst nicht auf die Fläche ... dann aber habe ich mich überwunden und natürlich mein Bestes mit den Mädchen zusammen gegeben: Wir haben dort einen 3. und zwei 4. Plätze gemacht!"


* Wenn das eine, sich in der pädagogischen Verantwortung des Sports befindliche "Schutzbefohlene" als Körperverletzung betrachtet, sollte man dies aber so etwas von ernst nehmen (!!), von der Verletzung der Seele einer heranwachsenden Jugendlichen ganz zu schweigen!

Katja: "Zuvor waren wir beim ersten Grand Prix in Moskau. Dort gab zum Beispiel Frau Guhr, Deutschlands internationale Kampfrichterin (- und früher DTB-verantwortliche Bundestrainerin -) an uns alle Essensmarken aus, für Mittagbrot und Abendessen. Diese aber wurden uns von der jetzigen DTB-Cheftrainerin weggenommen, wir blieben einen ganzen Tag ohne jegliche Nahrung. Daraufhin sind wir, auch Sara Radmann und die ganze Gruppe, Geld umtauschen gegangen und haben uns eigenes Essen besorgt, mussten uns also selbständig verpflegen ..."
" ... beim Weltcup in Stuttgart kam ich krank, mit Fieber (39° C) und Husten zum Frühstück ins Hotel. Die dort versammelten Trainerinnen (DTB-Verantwortliche und aus Schmiden) schickten mich mit den Worten weg: ' ... Du bist fett, hast einen dicken Arsch,  ... Du bist wie ein Mammut, ... geh' ins Hotelzimmer, Dich wiegen ...!' Darauf kam ich zurück und teilte ihnen mit, dass ich aktuell 46 kg wiege! Daraufhin ließen sie mich nicht frühstücken ' ... ich solle mir einen Joghurt nehmen und wieder gehen!'


* Hungern und Essensentzug als Leistungsstimulator ...?? Abartig!
Wie bedeutsam ernährungsphysiologische Vorgänge bei Heranwachsenden sind, muss wohl nun nicht mehr betont werden:
Besonders bei den Schnellkraftsportarten muss in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Energie aufgebracht werden. Die Energie wird neben der Schnellkraft auch für Maximalkraft, Kraftausdauer sowie für die Koordination der Bewegungsabläufe benötigt. Somit stellen die Schnellkraftsportarten eine Mischung aus Ausdauer- und Kraftsport dar, weshalb da besonders auf einen erhöhten Eiweißbedarf geachtet werden sollte. Für die Ernährung gelten mithin die gleichen Richtlinien, wie für Kampf- und Spielsportarten. Leider aber ist die schon seit Jahrzehnten im Verdacht stehende Rhythmische Sportgymnastik, Mißbrauch oder Diletantismus bei Ernährungsfragen zu betreiben, scheinbar noch immer keinen Schritt weiter. Wenn Eltern und Athleten um Hilfe bitten, ist das
mehr als ein Alarmzeichen!

Katja: "Vor dem Weltcup im März in Stuttgart war ich zuvor beim Arzt, da ich mich sehr krank fühlte. Ich hatte 39° C Fieber und Husten und litt unter Atemnot. Eine Schmidener Betreuerin, die Frau Frey, hatte mich zum Arzt begleitet. (Ich muss auch sagen, dass alle Betreuer im Internat in Schmiden sehr viel Mühe und Verständnis für uns Gymnastinnen aufbringen, und versuchen, uns zu trösten und für uns da zu sein!) Der Arzt diagnostizierte dann eine Vireninfektion und eine starke Pollenallergie. Er riet mir: Vor allem Ruhe, Tee trinken, antiallergisches Mittel.
Vor Abreise zum Weltcup nach Stuttgart bat meine Mutter die verantwortliche DTB-Trainerin (- ich hatte schon morgens 7.00 Uhr 39° C Fieber!) - ob man mich mindestens bis Mittag im Bett lassen könne, da das Podiumstraining eh' erst für 14 Uhr angesetzt sei. Kurz danach erschien die DTB-Trainerin und die Schmidener Gruppentrainerin in meinem Internatszimmer. Dort gab mir die DTB-Trainerin aus ihrer Tasche Tabletten, was meine Mutter sehr verwunderte, denn tags zuvor hatte mir der Arzt keinerlei Medikamente verschrieben. Die Trainer konnten nicht einmal sagen oder beschreiben, was für Medikamente dies seien (ein Antibiotikum) und wie sie zu dosieren sind, waren aber der Meinung, ' ... das seien schon die richtigen Mittel für mich, und ich solle sie schlucken!' Jetzt wissen wir aber inzwischen, dass es sich um ein russisches, aber verschreibungspflichtiges (!) Antibiotikum handelte. Wir haben die Tabletten als Beweis aufgehoben."


Meine Güte, verehrte Leserschaft! Ob Sie nun selbst Eltern sind oder nicht! Was maßen sich sog. "Trainer" eigentlich an? Wie steht es um deren Wissen, Können, ihr Verantwortungsbewusstsein, ihre Qualifikation? "Zauberpillen" aus der Trainertasche ...? Das kommt einem aber so 'was von bekannt vor!
Dies ist um so schlimmer, da es sich ja eigentlich "um die Auserwählten" handelt, um jene, die die Leistungsspitzen einer Disziplin in internationale Topbereiche führen sollen. Wie muss es um deren moralische Integrität bestellt sein? Sie wissen doch, dass in den vielen Heimatvereinen, von denen sie die Talente zugeführt bekommen, so viele beseelte und verantwortungsbewusste Übungsleiter und Trainer sich hoch motiviert um ihre Mädchen zuvor gekümmert haben!
Und wie man gleich noch sehen wird: "Göttergleich" werden sogar deren Basisarbeit und damit auch die mühsam aufgebaute Motivation und ursprüngliche Begeisterung der Kinder und Jugendlichen systematisch zerstört und verunglimpft...!

... bildliche Darstellung der 'fetten Kühe' in der deutschen Gruppengymnastik

+++ PRESSEREAKTIONEN +++
→ 16. 06.: Polizei ermittelt ... (BILD, Halle)
→ 16.06.  Gymnastin stellt Strafanzeige (Spiegel Online
→ 16.06.  Böses Blut in der Sportgymnastik  (Stuttg. Nachrichten)
→ 16.06.  Turnerin ... erhebt schwere Vorwürfe ...  (MDR)
→ 17.06.  Wurde Sportlerin ... misshandelt ...? (MZ, Halle)
→ 21.06.  Auch im Leistungssport das Recht des Kindes achten (Deutschlandfunk)
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24.06.  GYMmedia KOMMENTAR (Eckhard Herholz)
→ (25.06.) Der offene Brief schlägt Wellen (Stuttgarter Zeitung)
23.06. Sie musste hungern (Der Spiegel)
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