Bierbrauer statt Turnvater |
Eigentlich schien es doch den Hauptstädtern klar, spätestens beim 200. Jahrestag des Deutschen Turnens 2011, so dachte man. Da feierte man doch in der Berliner Hasenheide die Geburtsstunde des Deutschen Turnens und gedachte natürlich auch des Begründers des ersten deutschen Turnplatzes, Friedrich Ludwig JAHN, auf sehr komplexe Weise, wie man das einer solch historischen und durchaus widersprüchlichen Person eben schuldig ist. Doch gerade jetzt geschehen in einer Stadt, die sich eben für Olympia bewirbt, wieder sehr nachdenklich machende Dinge ...:
* 2011: 200 Jahre Turnbewegung |
Das Letzte aus Pankow ...
Mitten in die Aktivitäten der Olympiabewerbung Berlins hinein, erfolgt in eben dieser Stadt der Beschluss einer Bezirksverordnetenversammlung, einem "demokratisch erzielten Mehrheitsbeschluss" der "Turnvater Jahn-Grundschule" in Berlin Pankow folgend, diese Schule umzubenennen, weil nach Aussage der Schulleiterin Frauke Dellas, den heutigen Schülergenerationen " ... die widersprüchliche Person Friedrich Ludwig Jahn nicht mehr zu vermitteln ist" und bekommt das auch noch von Pankows Bezirksamt bestätigt.
Jahn war doch aber eine imposante Figur der preußischen Geschichte, deren Leben und Wirken man gerade Kindern und Jugendlichen bilderreich beschreiben kann!
Gern hätte man da mal gewusst, bei wievielen Schülerexkursionen in die nur ca. 10 km Luftlinie entfernte Berliner Hasenheide diese Geschichtsvermittlung misslungen sein?!
Und außerdem, so die Schule, sei man doch mit der Namenswahl dem Bötzow-Viertel gefolgt, und nicht "Julius Bötzow", dem Berliner Bierbrauer aus dem 19. Jahrhundert ( - der allerdings der echte Namensgeber ist!). Kurios, denn dann müsste es "Grundschule im Bötzow-Viertel" heißen. (Bötzows Sohn Hermann war im Übrigen ein strammer Nazi, der sich gemeinsam mit seiner Frau Ruth als großer Hitler-Verehrerin 1945 das Leben nahm, aus Angst vor dem Ende des "Dritten Reiches".)
Wie aber steht es mit dem Bildungsstand einer Nation, wenn selbst Pädagogen, Lehrer es nicht vermögen, echte Kriterien der Beurteilung des Charakters von historischen Persönlichkeiten und derem Tun sowie ihren bleibenden Werten oder Werken v o r solchen Entscheidungen heranzuziehen?
Jahndenkmal in der Berliner Hasenheide |
Friedrich Ludwig Jahns bleibende Werte der Schaffung der Grundlagen einer Körperkultur des ganzen Volkes, der Entwicklung des Turnens als komplexes Element bei der Erziehung von Jugend und Gesellschaft überragen bei Weitem die oft dem damaligen Zeitgeist geschuldeten politischen und z. T. nationalistischen Seiten seiner Argumente und seines "heißblütigen Charakters"...
In ihrer sogenannten "kritischen Auseinandersetzung mit dem Namensgeber" betreibt die Schule in sträflichst oberflächlicher Weise eben genau das, was sie eigentlich den anderen vorwirft: Sie selektiert einseitig die "Problemseiten Jahns" aus heutiger Sicht und interpretiert sie negativ im Verhältnis zu Jahns Werten von historischem Bestand. Diese werden andererseits - so Direktorin Dellas - " ... einseitig von den Befürwortern des Turnvater Jahns" in den Vordergrund gestellt. Aber Geschichtsverläufe s i n d vorwiegend widersprüchlich! Gerade deren Vermittlung und dessen Verständnis machen auch den Bildungswert für Schüler aus!!
Wenn das mal eine nachfolgende Lehrer-Eltern-Schülergeneration nicht eben wieder anders sieht, dann nennt man wohl die Schule eben einfach wieder um ....??
(Nicht dass das nun auch die Leipziger spitzkriegen und ihre Jahn-Alle (zwischen der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) und dem Stadion gelegen) wieder umbenennen: Die hieß nämlich mal "Stalin-Allee" und noch früher "Hitler-Allee".)
Was soll also der missbräuchliche Hinweis auf den wertvollen Begriff "demokratischer Prozess" - das ist eher oberflächlicher Populismus!
So geht das aber nicht: Die Nazis missbrauchten den Turnvater ebenso fragmentarisch, machten aus dem volkstümlichen einen völkischen Jahn, wie auch zu DDR-Zeiten ein Jahnbild vorwiegend im Sinne des Sozialismus interpretiert wurde.
Heute jedoch sollte Geschichtsbetrachtung grundsätzlich anders aussehen:
Friedrich Ludwig Jahn ist und bleibt eine erinnerungswerte und damit wertvolle Person der Geschichte, was die Auseinandersetzung mit ihrer Widersprüchlichkeit einschließt.
Dass gerade deutsche Schulen diese Chance der differenzierten Geschichtsbetrachung mit "sinnentleerten Umbenennungen" aus dem Wege gehen, ist leider eine erschreckend traurige Tatsache und entspricht n i c h t dem Bildungsauftrag einer Kulturnation!
Dass zu allem Übel von einer Stadtverwaltung dafür noch der öffentliche Segen erteilt wird, setzt dem Ganzen noch die Krone auf!
Von einer Olympiastadt Berlin erwartet man einen qualifizierteren Umgang mit deutscher Sportgeschichte!
* Eckhard Herholz
- Chefredakteur GYMmedia INTERNATIONAL
* siehe auch "Berliner Kurier" am 23. 02. 2015:
► Turnvater Jahn Grundschule schämt sich für Namenspatron
► Warum wird die Jahnschule umbenannt? ( "B.Z.")
... und nun auch die Berliner Zeitung, mit:
► Rolle rückwärts (26. 02.)
* Inzwischen gibt es auch einige späte (und z. T. typische) Politikerreaktionen:
- so Timm-Christopher Zeelen (CDU), Vize-Vorsitzender des Sportausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, der den Beschluss der Schule zwar für falsch hält, ihn aber respektiere... (- Aha, lerne: " wenn man etwas für falsch hält, es aber trotzdem respektiert, dann ist man Politiker ...??)
- oder Björn Eggert (SPD), Sportpolitiker im Abgeordnetenhaus, der eine Anhörung zu Jahn im Sportausschuss anregte ... (- na, immerhin, 204 Jahre nach der Hasenheide, ganz schön aktuell, die Jung's ...!!). Vielleicht soll man nun auch noch den Jahn-Sportpark umbenennen, der stand ja auch schon mal auf einer emsigen Umbenennungs-Agenda ...?
* Das zuständige Bezirksamt Pankow war da wesentlich flotter mit seinem tollen Beschluss (Dez 2014):
► Beschluss Bezirksamt Pankow* (Dez 2014)
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* ... GEFUNDEN
.... haben wir eine Veröffentlichung aus dem Berliner Stadtbezirk Pankow selbst:
Die Grundschule in der John-Schehr-Straße will nicht mehr
nach dem alten Turnvater Jahn heißen.
In einer Vorlage zur Kenntnisnahme für die Bezirksverordnetenversammlung, unterschrieben von Bezirksbürgermeister Matthias Köhne und Bezirksstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz heißt es dazu:
“Die Schule strebt eine Namensänderung an, weil sie sich nicht auf Dauer ausschließlich mit einem sportorientierten Profil aufstellen möchte und weil die Persönlichkeit Friedrich Ludwig Jahns als zwiespältig und für Grundschulkinder schwer vermittelbar wahrgenommen wird.”
Ah Ja. Lehrer und Pädagogen der Schule sind also nicht in der Lage, subtilere Zusammenhänge kindgerecht zu vermitteln.
Interessant. Weiter heißt es dort im Text:
“In einer demokratischen Wahl erhielt von vier vorgeschlagenen und diskutierten Namen die Bezeichnung ‘Bötzow-Grundschule’ die meisten Stimmen. Die Umbenennung der Schule in Bötzow-Grundschule fokussiert den Blick auf den regionalen Standort der Schule in Prenzlauer Berg im Bezirk Pankow. Die Schule liegt an der Bötzowstraße und am Bötzowviertel. Schülerinnen und Schüler, Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Anwohner verbinden mit dem Bötzowkiez eine freundliche und offene Wohnumgebung.”
Na, wenn dass mal nicht mittelfristig in die Hose geht und irgendwann eine erneute Umbenennung ansteht. Die dann sicher so begründet wird:
“Die Schule strebt eine Namensänderung an, weil der Begriff ‘Bötzowviertel’ auf Grund seiner Geschichte als Ort der Turbo-Gentrifizierung und massenhaften Verdrängung sozial schwacher Bevölkerungsteile als zwiespältig und für Grundschulkinder schwer vermittelbar wahrgenommen wird.”
Aber Moment mal: Die Schule soll ja nicht “Grundschule am Bötzowviertel”, sondern „Bötzow-Grundschule“ heißen. Namensgeber ist also – genauso wie bei der Straße und dem nach der Straße benannten Kiez – Julius Bötzow, der einstige Brauereibesitzer vom Windmühlenberg.
Nun ist alles klar! Tresenstehen statt Barrenturnen. Leber- statt Muskeltraining. Praxisorientierter Unterricht eben.
Und nebenbei ein wunderschöner, weil höchst unterschwelliger Seitenhieb gegen jene, die der Stadt ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot überhelfen wollen.
Am 20. März 2015 soll der offizielle Namenswechsel stattfinden. Aus diesem Anlass, so ist auf der Webseite der Schule zu lesen, soll nicht nur ein Festakt, sondern auch eine Schuldisco veranstaltet werden. Feuchtfröhlich, wie zu vermuten steht. Und die Turnhalle wird dann in “Trinkhalle” umbenannt.
Wennschon, dennschon.
* Mit freundlicher Genehmigung!
> www.prenzlberger-stimme.de
* Ein Blick zurück ...
Vor 16 Jahren, kurz vor der Jahrtausendwende, vollzog in Hamburg ebenfalls eine Friedrich Ludwig Jahn-Schule die Umbenennung in die heutige "Ida Ehre Gesamtschule. Damals argumentierte der Sporthistoriker Prof. Dr. Harald Braun von der Universität Bremen wie folgt gegen die Argumente einer Umbenennung:
►► Plädoyer f ü r Friedrich Ludwig Jahn
♦ ♦ Starke User-Resonanz:
Grundsätzliche Tenor (fast) aller Zuschriften: Großes allgemeines Bedauern über die oberflächliche historische Betrachtungsweise sowie der Missbrauch des Begriffs "demokratisches Verfahren" beim Durchsetzen von sogar als "falsch" anerkannter Tatsachen.
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* Der Vorsitzende der Jahn-Gesellschaft, Hansgeorg KLING äußerte sich in einem Leserbrief an die "Berliner Zeitung" wie folgt:
"Der Beschluss, eine Schule umzubenennen, hat immer eine heiße Diskussion zur Folge. Diejenigen, die dies bei der „Turnvater-Jahn-Grundschule“ in Pankow zu verantworten haben, machten es sich sehr einfach. Sie pickten sich die Schwachstelle Jahns heraus, was nicht schwer war (seine Abneigung gegen „Ausländerei“).
Tatsächlich sind die Verdienste Jahns gerade in Berlin so weitgreifend, dass es einer differenzierten Sicht bedarf. Sie soll hier nur angedeutet werden:
Das seit 1811 auf der Hasenheide betriebene Turnen war der Anfang der 200-jährigen Turnbewegung, die allein in Deutschland mehr als fünf Millionen in Vereinen organisierte Menschen umfasst (das ist die Mitgliederzahl des Deutschen Turner-Bundes); von den vielen unorganisierten Freizeitsportlerinnen und Freizeitsportlern also einmal abgesehen.
Unter Turnen ist alles zu verstehen, was nicht wettkampf-orientiert ist, also die ganze Vielfalt körperlicher Betätigung, vom spielerischen sich Tummeln bis zu gezielt auf Gesundheit eingesetzten Bewegungsformen. Turnen ist also bei weitem nicht nur das Gerätturnen. Hinzu kommt ein gerade für Berlin aufschlussreicher Aspekt: Indem Jahn 1811 die Jugendlichen „von der Straße“ holte, war er ein überaus erfolgreicher Sozialarbeiter (wie wir heute sagen). Er machte Jugendlichen ein „sozialisierendes“ Freizeitangebot.
Jahns Menschenbild war ein ganzheitliches, vor allem aber:
Er wirkte in erheblichem Maße politisch, indem er sich für nichts Geringeres als für Deutschlands Einheit und Freiheit einsetzte. Das rundet eine komplexe Lebensleistung ab, die so facettenreich ist, dass sie nicht auf seine Fremdenfeindlichkeit reduziert werden kann! Sie ist aus der Zeit heraus zu verstehen: Preußen war von Napoleons Franzosen besetzt, die Bevölkerung hatte darunter zu leiden."
Hansgeorg Kling, Präsident der Jahn-Gesellschaft