12. August 2006
Kienbaum, Berlin
Gerätturnen
RÜCKBLENDE: Schweiz - Deutschland und historische Dimensionen
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AndreasTOBA (GER) - Reto HEIERLI (SUI) ... an einem geschichtsträchtigen Tag
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Exakt auf den Tag genau, am Freitag den 11. August, als es vor 70 Jahren bei den 36'er Olympischen Spielen in Berlin das imposante Mannschafts-Duell im Kampf um Gold zwischen der Deutschland- und der Schweizer Riege gab, das die Olympiagastgeber mit 2,682 Punkten knapp gewannen -
- beendeten gerade Schweizer Junioren gemeinsam mit dem deutschen Turnnachwuchs der Jahrgänge 1989/90 ein gemeinsames Trainingslager im Camp Kienbaum bei Berlin, nur zirka 40 km entfernt von den olympischen Geschehnissen vor sieben Jahrzehnten, die Bestandteil der Turngeschichte beider Nationen sind.....
Keiner der Jungen beider Nationen hatte je von diesen sportlichen Fakten, historischen Daten oder den damals handelnden Personen gehört....
Die Berliner Waldbühne - damals Schauplatz der Olympischen Turnwettbewerbe 1936
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Außergewöhnlich: Alfred SCHWARZMANN 2. v.li.) - nach olympischem Mannschafts- und Mehrkampfgold 1936 noch einmal Recksilber bei den zweiten Nachkriegsspielen 1952 am Reck (- gemeinsam mit Joseph STALDER, hinter Olympiasieger Jack GÜNTHARD, beide Schweiz)
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Kein historisches Wissen bei Jugendlichen... Weder war ein spezifisches Wissen um die von den Nazis missbrauchten XI. Olympischen Spiele 1936 im nur ca. 40 km entfernten Berlin vorhanden, noch kannte irgend einer der jungen Turner die Turngrößen von einst, von denen einer zur Jahrtausendwende 1999 vom
'kicker-Magazin' sogar zum
'Jahrhundert-Turner' gekürt wurde:
Alfred Schwarzmann.
Namen wie
Georg MIEZ, Mitglied der Schweizer Silberriege und Olympiasieger am Boden oder auf deutscher Seite eben
Alfred SCHWARZMANN, als einziger deutscher Mehrkampf-Olympiasieger der Geschichte oder
Konrad FREY, der mit der deutschen Gold-Riege noch Bester an Pferd und Barren und mit Reck-Silber und Boden-Bronze der erfolgreichste deutsche Teilnehmer dieser Spiele überhaupt war, sind unseren künftigen Leistungsgenerationen absolut unbekannt.
Wer aber nichts weiß, über politischen oder jedweden anderen Missbrauch des Sports, der kann auch nicht einordnen und nicht werten.!
Wie war das damals auf der heutigen Berliner Waldbühne, das Turnen der zweifelhaften olympischen Ausgabe von 1936...?
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Konrad FREY (GER) - erfolgreichster deutscher Sportler der 36'er Nazi-Spiele
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Im olympischen Kunstturnen auf der Freilichtbühne konkurrierten damals, am 10. und 11. August 1936, insgesamt 14 Mannschaften vor je 20.000 fachkundigen Zuschauern. Dabei waren die traditionsreichen europäischen Turn-Nationen eine Klasse für sich und belegten die ersten 8 Ränge.
(Die Deutsche Turnerschaft hatte lange abseits gestanden und sich erst 1934 dem Internationalen Turnverband angeschlossen. 1936 löste sich die DT auf und integrierte sich regimetreu in den 'Deutschen Reichsbund für Leibesübungen').
Nach spannendem olympischen Endkampf siegte Deutschland vor der Schweiz. Bei den Frauen, die nur als Mannschaft gewertet wurden und auch eine Gemeinschaftsübung vorzuführen hatten, gewannen die Deutschen vor der Tschechoslowakei.
Mit 6 Goldmedaillen konnte die deutsche Turnkunst zum ersten und letzten Mal ihre Führungsposition darstellen.....
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Dominanter aber sind da wohl diese schrecklichen Fakten:
..... bis 1945 waren 51 Mitglieder der deutschen Olympiamannschaft von 1936 (aller Disziplinen) im II. Weltkrieg gefallen!
... dem verbrecherischen Krieg und der grausamen Besatzungs- und Rassenpolitik fielen insgesamt 124 Olympiateilnehmer von 1936 zum Opfer.
..... besonders groß war das Opfer der Polen, deren Olympiamannschaft 15 Tote zu beklagen hatten; weitere 17 Olympiateilnehmer wurden hingerichtet oder in Konzentrationslagern umgebracht, davon fünf deutsche....
...die 'Friedensbeteuerungen' aus Anlaß der Olympischen Spiele von Berlin 1936 hatten sich nachträglich als gigantisches Täuschungsmanöver erwiesen....
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SCHWARZMANN, STUKELJ - Goslar 1996: Erstes Wiedersehen nach 60 Jahren
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Vielleicht sind Wissenslücken auch bei den Älteren auch deshalb nicht ganz so unerklärlich, was den Erinnerungswillen an den sportlich zweifellos hochkarätigen Mannschaftskampf Deutschland - Schweiz angeht, von dem die 1999 gestorbene slowenische Turnlegende
Leon Stukelj sagte:
'Es war einzigartig! Es war der Gipfel der Turnkunst damals, das Beste was es je bis zu diesem Zeitpunkt in dieser Sportart gegeben hatte...!' Der in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts älteste Olympiasieger der Geschichte
Leon STUKELJ aus Maribor (- geb. 1898 - gest. 1999), der nach seinen Olympiasiegen 1924 und 1928 in Berlin mit 37 Jahren nochmals Silber an den Ringen gewann, sprach mit größter Hochachtung aber auch von den in diesem Wettstreite agierenden Menschen - ohne übrigens die politische Missbrauchsseite dabei zu verdrängen....
'... aber gerade das Menschliche hat Bestand!'
Diesen Kernsatz sprach Leon Stukelj aus, als er 1996, exakt nach 60 Jahren erstmals wieder mit seinem einstigen Konkurrenten und Freund, Alfred Schwarzmann in dessen Heimatstadt Goslar zusammentraf: Sportliche Freundschaft über mehr als ein halbes Jahrhundert!
Ein außergewöhnlicher Freundeskreis...
Und es gibt tatsächlich noch immer einen 'Freundeskreis der 34'er Weltmeisterschafts- und 36'er Olympiamannschaft', den einst der Cheftrainer und Betreuer der 36'er-Olympiariege Eugen KOPP initiiert und geführt hatte, bis ins Alter von 83 Jahren!
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Walter FREIVOGEL und Dr. Masami OTA (JPN) bei einem Treffen des Freundeskreises Ende der 90'er Jahre
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Und nun ist es bereits wieder exakt 20 Jahre her, dass diese Aufgabe der frühere badische Kunstturnwart und hochgeschätze, langjährige internationale Kampfrichter Walter FREIVOGEL aus Dietlingen (bei Pforzheim) übernahm und Monat für Monat aktuelle Rundbriefe herausgibt: Persönliche Freundschaften, Kontakte Neuigkeiten, Lebenswege, Schicksale und nteressantes aus der Turnwelt prägen die Inhalte, die der inzwischen nun auch schon 86-Jährige mit Akribie zusammenträgt und an über 60 Adressen (!!) verschickt ... 14.400 Mal die letzten 2 Jahrzehnte, regelmäßig, pünktlich, am Ende eines jeden Monats!
Dazu Walter Freivogel: '...Pünktlichkeit gehört bei mir in die Rubrik Höflichkeit!'.
Das ist nicht nur ein hoher persönlicher finanzieller Einsatz, sondern es wird für ihn auch immer mehr zu einem fast übermenschlichen und zunehmenden Kraftaufwand, pflegt doch Walter Freivogel seit Jahren allein seine schwer erkrankte Gattin Erika....!
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Walter STEFFENS - letzter Turner der deutschen Goldriege von Berlin und mit 97 Jahren ältester Olympiasieger Deutschlands - verstarb am 23. 08. 2006
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Wenn auch von der 36'er Olympiariege mit
Walter STEFFENS nur noch ein Turner lebt und inzwischen Deutschlands ältester Olympiasieger* aller Sportarten ist
- besonders dem enormen und kontinuierlichen Einsatz Walter FREIVOGELS ist es zu verdanken, dass durch diese Rundbriefe, die ständig gepflegten, persönlichen Kontakte und viele in den letzten Jahren organisierte Treffen der einst selbst mit Leidenschaft ausgeübte Sport seiner Rolle als Mittler der Freundschaft zwischen Menschen und Völkern auf edelste und besondere Weise gerecht wurde und wird:
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... zu einem der Treffen des Freundeskreises 2001, Ingelheim
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Denn längst gehören durch Freivogels Bemühungen auch weitere internationale Turngrößen diesem Freundeskreis an, so z.B. der Schweizer Ex-Weltmeister Walter LEHMANN (1950), der Schweizer Boden-Europameister von 1959 Ernst FIVIAN oder der Eiserne', der 6-malige Olympiasieger und 6-fache Weltmeister Boris SCHACHLIN (URS/Ukraine), wie auch die Pauschenpferd-Legende der sechziger Jahre Miroslav CERAR (YUG/Slowenien).... das ist mehr als außergewöhnlich!
Und das hat Bestand in den Herzen - wenn auch die Köpfe das Unsinnige des politischen Missbrauchs dieser 36'erSpiele nicht verdrängen dürfen!
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Turngenerationen der Zukunft: DEUTSCHLAND - SCHWEIZ
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Wenn von all dem die Turnjugend heute auch wenig weiß, eines ist jedoch Fakt:
Deutsche und Schweizer Jugendliche, die nationalen und internationalen Meister kommender Jahre, wachsen im friedlichen Miteinander auf, auch wenn sie als sportliche Konkurrenten an die Geräte gehen.
Profunde historische Kenntnisse könnten dabei durchaus sehr hilfreich sein!
Gedanken nach einem Trainingslagerbesuch an einem historischen Datum
- von Eckhard HERHOLZ / GYMmedia
)* -- Walter STEFFENS verstarb am 23.08.2006 im Alter von 97 Jahren in seinem niedersächsischem Wohnort Barnstorf, Kreis Diepholz.