Ende der ersten Novemberwoche begingen zwei Persönlichkeiten ihren 85. Geburtstag, die wesentliche Exponenten der Turnentwicklungen in der DDR waren: Am 8. November die noch immer mit 22 Deutschen Meistertiteln an der nationalen Statistikspitze stehende Ingrid Lehmann-FÖST und am 9. November einer der profilbildenden Trainer des ehemaligen Potsdamer ASK-Turnzentrums, Richard KARSTEDT ....
Mit ihr begann der Austieg des DDR-Frauenturnens: Ingrid FÖST (links), Ende der Fünfziger, mit den sowjetischen Stars Larissa Latynina und Sofia Muratowa, Weltmeisterin bzw. Vize-Weltmeisterin in Moskau 1958.
... was bleibt sind Erinnerungen! |
Als Ingrid MICHAELIS gewann die damals für "Einheit Nordost-Berlin" startende Neunzehnjährige bereits 1953, nach der Ära der 5-maligen Mehrkampfmeisterin Charlotte Scholz aus Leipzig (1949 - 1953) ihren ersten Meistertitel am Sprungpferd (1953, in Karl-Marx-Stadt), dem in ihrer Laufbahn bis 1963 weitere 17 Gerätetitel folgen sollten. Dazu kamen insbesondere ihre vier Mehrkampferfolge im Achtkampf ab 1955 bis 1962, die nach Charlotte Scholz (Leipzig) später nur noch von Karin Janz (Berlin) mit je 5 Achtkampf-Titeln (Pflicht + Kür) übertroffen werden sollten.
Später verheiratet war sie als Ingrid FÖST die erste Aktive der aufstrebenden DDR-Turnnation, die auch international auf sich aufmerksam machte: Von ihrem Traditionsverein "Einheit Nordost Berlin" wechselte sie erst zu der einsetzenden besonderen Sportförderung zum ZSKA/ASK "Vorwärts" Berlin, später dann zum SC Dynamo, der sich damals gerade zu dem international erfolgreichsten Frauenturnklub der Welt zu entwickeln begann.
Ingrid FÖST stand 1958 in der ersten DDR-WM-Riege 1958 in Moskau und zog gemeinsam mit der Leipzigerin Ute Starke (Kahlenberg) 1962 in Prag in ein WM-Finale ein (Platz 5.; Starke Platz 4).
Ingrid Föst nahm an den beiden Olympischen Spielen 1960 (Rom) und 1964 Tokio teil und stand im Bodenfinale 1964, als am selben Tag Birgit Radochla am Sprungpferd - gemeinsam mit Larissa Latynina und als erste deutsche Turnerin - eine olympische Einzelmedaille gewann, die zweite Medaille für deutsches Frauenturnen überhaupt seit dem Mannschaftsgold von 1936. Bei ihren zwei EM-Einsätzen gewann Birgit Michailoff-Radochla 1959 in Krakow als Mehrkampf-Sechste zweimal Bronze (Sprung, Stufenbarren) und 1961 in Leipzig hinter den beiden damaligen sowjetischen Weltstars Larissa Latynina und Polina Astachowa auch Bronze im Mehrkampf.
DDR-Erfolgsquartett der frühen sechziger Jahre:
* v.li.; Birgit Radochla, Ute Starke, Erika Zuchold, Ingrid Föst
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Dazu stand Ingrid Föst in Leipzig in allen EM-Gerätefinals, errang hinter der Leipzigerin Ute Starke Silber am Sprung sowie Bronze an Barren und Balken.
Ein Titel aber blieb ihr bei ihrer zweiten Europameisterschaft versagt.
Noch immer steht sie mit 22 Deutschen Meistertiteln an der Spitze der nationalen Rangliste, hat aber nun Gesellschaft durch Elisabeth SEITZ bekommen, die bei den 79. Deutschen Meisterschaften 2019 in Berlin mit ihr gleichzog, allerdings mit 7 Mehrkampftiteln als neuer nationaler Rekordmarke!
Die später langjährige Trainerin für den Turnnachwuchs beim SC Dynamo Berlin, Ingrid LEHMANN, wohnte lange in ihrer Heimatstadt Berlin und lebt nun nach dem Tod ihres Mannes in einem Pflegeheim nördlich von Berlin.
* (c) gymmedia / -ehe -
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DDR-Meisterschaften 1961: DTV-Präsident Erich Riedeberger gratuliert Vize-Meister Richard Karstedt in der Ernst-Kamith-Halle in Frankfurt / Oder. |
♦ Richard KARSTEDT gehörte in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahren zu den besten Turnern des damaligen ASK Potsdam, der sich damals unter den besonderen Förderbedingungen eines Armee-Sportklubs zum führenden Turnzentrum des DDR-Männerturnens entwickeln sollte.
<< Als DDR-Vize-Meister im 12-Kampf 1961, hinter dem Deutschen Meister Siegfried Fülle und vor dem späteren DTB-Auswahlcoach Klaus Milbradt (< siehe Foto, links), blieben ihm weitere nationale Titel zwar versagt.
Um so erfolgreicher schlug er danach seine Trainerkarriere ein, kümmerte sich viele Jahre um den Potsdamer Nachwuchs seines Armeesportklubs ASK, der später auch international zum erfolgreichsten DDR-Männer-Turnclub aufsteigen sollte.
Bernd Jäger, Richard Karstedt, 1974. |
Innovativer "Erfinder des Jägersaltos"
Insbesondere Anfang der siebziger Jahre machte Richard Karstedt als Schlagzeilen, als er mit seinem Schützling Bernd Jäger mit dem weltweit ersten Flugelement am Reck einen internationalen Trend auslöste, der das Reckturnen nahezu revolutionieren sollte:
Das Lösen und erfolgreiche Wiedererfassen der Reckstange nach vollzogener Saltobewegung war damals ein absolutes Novum im Männerturnen am Reck
Unter der Leitung des damaligen Cheftrainers Rolf Bauch und neben Werner Schenk und Heinz Neumann gehörte Richardt Karstedt zu den profiliertesten Potsdamer Trainern und war dort auch als "harter Hund" bekannt. Insbesondere solche Athleten wie Wolfgang Klotz, Reinhardt Rychly, Ralph Quast setzten seine Forderungen am besten um, verdanken ihm wesentlich ihre Sportlerkarrieren.
Zu seinen Schützlingen gehörte auch der EM-Dritte von 1973 Wolfgang THÜNE (- in Grenoble damals hinter Eberhard Gienger und Klaus Köste, die beide Gold gewannen, standen also drei Deutsche auf dem Podest!). (Foto, rechts: Turner Thüne, Trainer Karstedt, 1973)
Der Vize-Reckweltmeister von Warna 1974, Wolfgang THÜNE, dessen spektakuläre DDR-Republiksflucht 1975 bei den Europameisterschaften in Bern zu Hause seinem Cheftrainer Rolf Bauch für einige Zeit den Posten kostete, beendete im Befehlssystem des Armeesportklubs ASK auch zumindest die Spitzentrainerkarriere des Richard Karstedt, ( ... was er im Tiefsten seines Herzens noch bis heute nicht so richtig überwunden hat). " ... aber ich habe mich damals nicht rausschmeißen lassen!" - so der ehmalige NVA-Offizier im Range eines Oberstleutnants heute. "Immerhin hatte ich Trainingspläne für die Olympiavorbereitung 1976 unterschrieben und zu verantworten und auch die ASV-Führung stand hinter mir."
Als ein Teil der DDR-Auswahl damals einen schweren Autounfall hatte, wo auch Potsdamer Athleten von Richard Karstedt betroffen waren, vor allem aber ein Berliner Dynamotrainer schwer verletzt war, wurde der Potsdamer Spitzentrainer dann vom damaligen Verbandstrainer Peter WEBER - auch ein Ex-Potsdamer Auswahlturner - zum SC Dynamo Berlin delegiert, wo sich Richard Karstedt insbesondere bei der Olympiavorbereitung der später erfolgreichen Roland Brückner (Olympiasieger 1980) und Michael Nikolay (Weltmeister 1981) wesentlich einbrachte.
Danach machte man ihn im Einzugsbereich der Nationalen Volksarmee (NVA) zum verantwortlichen Trainer aller, über die gesamte Republik verteilten ASV-Nachwuchsstützpunkte, wo Richard Karstedt über 10 Jahre lang und erfolgreich, bis 1986 die damalige Struktur des Nachwuchses und dessen Zuführung der Talente zum ASK- Leistungszentrum nach Potsdam verantwortete.
Die politische Wende überstand dieser weltbekannte und erfolgreichste Männerturnklub Potsdam allerdings nicht. Die dortige Turnhalle - einst als die europaweit modernste in den sechziger Jahren erbaut - hat zwar alle Zeitenläufe überlebt und verbreitet noch heute - trotz einiger innerer Neuausstattungen - den "Charme" vergangener Zeiten und war zuletzt auch Ort des Potsdamer Turner-Traditionstreffen, sieht nun aber doch bald (2020) dem Ende entgegen.
Nur Insider wissen noch, dass hier viele Turnergenerationen ihren Schweiß und Männer wie Rolf Bauch, Werner Schenk, und Richard Karstedt auch viel Herzblut vergossen haben.
(c) gymmedia / Eckhard HERHOLZ
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