17. Januar 2010
Berlin
Gerätturnen
*GYMfamily-Report:II. Traditionstreffen 2010 der Berliner Turner
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Ex-Dynamoturner Andreas Eichelbaum und ein Dynamowimpel ...
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Einst war es der erfolgreichste Turnclub der Welt:
Von Birgit Radochla's erster olympischer Silbermedaille einer deutschen Turnerin überhaupt (Tokio 1964), über die Olympiasieger Karin Janz (1972), Maxi Gnauck oder Roland Brückner (beide 1980) bis hin zu Mannschafts-Bronze der Frauen in Seoul 1988 (- mit Dagmar Kersten, Dörte Thümmler, Ulrike Klotz, Gabriele Fähnrich) und Team-Silber der DDR-Männer , u. a. mit den ehemaligen "Dynamos" Ulf Hoffmann und Andreas Wecker, holten die Turnabteilungen des früheren "SC Dynamo Berlin" Siege und Medaillen bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, wie kein anderer Sportclub in der Welt.
Nun rief einer der letzten und erfolgreichsten Trainer der Berliner Männer-Turnabteilung des zivilen Nachfolgevereins und heutigen SC Berlin, Lutz Landgraf, zum 2. Traditionstreffen - und über 50 ehemalige Athleten und Trainer kamen ...
Berlins Ex-Turntrainer u. Initiator Lutz Landgraf (hi. rechts)
eröffnete das
II. Berliner Turn-Traditionstreffen 2010
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Roland Ankert, heutiger SC Berlin-Nachwuchsexperte und Jürgen'Keule' Nikolay, WM-Teilnehmer und Deutscher Ex-Reck-Meister
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Geballte Ladung Turngeschichte!
Das kleine, anheimelnde "Cafè Regina' in Berlin-Marzahns Einfamilienhaus-Gegend wurde zum Wiedersehenstreffen von Menschen, die eine Zeit lang intensivst miteinander gearbeitet, sich aber z. T. fast ein Vierteljahrhundert aus den Augen verloren hatten.
"Mensch, kiek mal..., ist das nicht Keule...?!"
Und tatsächlich kamen auch die einzigen Zwillinge, die je in der Weltspitze geturnt hatten: Jürgen "Keule" Nikolay, zweifacher Deutscher Reckmeister (1980, '81) und sein Bruder "Micha" Nikolay, Pauschenpferd-Weltmeister (mit dem Chinesen Li, Xiaoping, 1981, Moskau), dessen "Nikolay-Kreisel" noch heute die jungen Athleten vor so manches Rätsel stellt.
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Micha Nikolay und sein ehemaliger Coach in den Achtzigern, Heinz-Dieter Schulze
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Michael Nikolay (53) - siebenmaliger Deutscher Meister an Pferd (4x), Barren (1x) und Reck (2x) und dreifacher DDR-Mehrkampf-Vize-Meister, sowie sein Bruder
Jürgen, wurden damals von "Meistermacher"
Heinz-Dieter Schulze ("Schulle") betreut.
Auch der spätere Fitnesstrainer und jetzige Pensionär war unter den Gästen des Treffens und traf viele seiner einstigen Schützlinge wieder .
Als junger Turner hatte
Holger Zeig mit seinem Trainer
Wulf Dalhöfer ein verblüffendes Element an den Ringen erfunden, dass dann vom jetzigen
Bundestrainer Andreas Hirsch - auch ein früherer Dynamo-Turner - übernommen, erstmals international vorgeführt, ...
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Holger Zeig, Wulf Dalhöfer
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... weltweit bekannt gemacht und als sogenannter Konventionalausdruck ins Turn-Erfinder-Lexikon als "Hirsch-Spinne" eingetragen wurde.
Später stand der heute 45-jährige Polizist Holger Zeig selbst zweimal in den WM-Riegen von Budapest (1983) und von Montreal (1985), von wo er mit Team-Bronze zurückkehrte, seine Turnkarriere allerdings aus gesundheitlichen Gründen im selben Jahr, mit gerade mal 21 Jahren, beenden musste.
"Nach meiner Zeit noch als Nachwuchstrainer beim SC Berlin bis Mitte der Neunziger habe ich aber mit der Turnerei abgeschlossen und lebe jetzt für meinen Job", so Zeig, für den die aktive Zeit inzwischen zur bloßen Erinnerung wurde.
Unter den Bedingungen der Sportvereinigung DYNAMO (... des Ministeriums des Innern/Polizei und des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR) und dessen leistungssportlichen Zentrums, des SC DYNAMO Berlin*, hatte sich seit 1954 bis 1991 unter den auch wechselnden sportpolitischen Bedingungen eine unterschiedliche Zahl von Sportarten etabliert, die zahlreichen Veränderungen unterworfen war und zuletzt, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, aus diesen Sportarten (Sektionen) bestand, die auf höchstem sportlichen Niveau zahlreiche Weltstars hervorbrachten.
(*Neben Kunstturnen - Männer und Frauen - waren das: Handball, Leichtathletik, Schwimmen, Radsport, Eisschnelllauf, Eiskunstlauf, Eishockey, Fechten,Rudern, Boxen und Volleyball. Die Sektion Fußball wurde schon1966 ausgegliedert, es entstand der Fußballclub Berliner FC Dynamo.)
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Gerhard Kaminski, und der Alterspräsident' des Abends, Heinz Nowakowski (82): zwei der ehemalige Säulen des Berliner Spitzenturnens; im Hintergrund debattieren 'Schulle' Schulze und Heinz Kirsch (rechts)
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Gerhard Kaminski und 'sein' Ex-Pferd-Champion Sten Köplin Fritsche
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Mit einer, wie stolze Gelassenheit anmutenden Haltung, sah Gerhard Kaminski auf das turbulente Treiben der Dynamo-Gesellschaft beim gestrigen Treffen herab und erfreute sich an den vielen emotionalen Gesprächen und Wiederbegegnungen.
Er selbst hatte als einer der langjährigsten Cheftrainer Turnen seit Mitte der Sechziger bis fast Ende der Achtziger 24 Jahre lang (!) die Männererfolgsline des Dynamoclubs verantwortet. Dazu war er, neben dem verstorbenem Potsdamer ASK-Chef Rolf Bauch, einer der international bekanntesten und profiliertesten deutschen Kampfrichter. Nach der Amtsübergabe der Chefrolle in Berlin an Siegfried Wüstemann (noch zu DDR-Zeiten), der dann bis 2008 über 22 Jahre insbesondere den zivilen Nachfolge-Club SC Berlin gestaltete, agierte Gerhard Kaminski noch selbst wieder und unermüdlich am Mann und erhielt in den Neunzigern für sein Lebenswerk das Bundesverdienstkreuz.
Ebenso für das Turnen gelebt, hat der "Alterspräsident" des Abends, Heinz Nowakowski, der im letzten Jahr seinen 82. Geburtstag feierte und der als Trainer schon vor seiner Dynamo-Zeit bei Lok Leipzig an der Ausbildung des späteren Olympiasiegers Klaus Köste (1972, München) beteiligt war.
An seiner Seite agierten bei Dynamo viele Trainer langjährig, wie zum Beispiel der Deutsche Bodenmeister von 1954, Heinz Kirsch, der vielen nachfolgenden Generationen die sich durch technisch-athletisch auf höchstem Niveau befindliche "Dynamo-Turnschule" beibrachte und die weltberühmt war.
So ein methodischer Spezialist war auch Wulf Dalhöfer.
Von ihm kam in den siebziger, achtziger Jahren eine Vielzahl der späteren Champions, wie Bodenmeister Andreas Eichelbaum, die WM-Turner Holger Zeig und Torsten Mettke oder der Pauschenpferd-Virtuose Sten Köplin-Fritsche...
Weil aber Dalhöfer weder in der SED war, dafür aber sogenannte "Westverwandschaft" hatte, durfte er nie die von ihm entwickelten Talente auf ihre ganz großen Wettkampfreisen ins "NSW" ("Nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet") begleiten und musste sie zuvor an andere Trainerkollegen "übergeben": Er war eben in der DDR kein "Reisekader"!
Dafür aber wurde der dynamische und ungeheuer agile Wulf Dalhöfer nach der politischen Wende fast 20 Jahre lang als Sportkoordinator einer der wesentlichen und erfolgreichen Gestalter und Umgestalter des Berliner Sportgymnasiums, blieb fordernd, war nie bequem, dafür vor allem ungeheuer sozial engagiert und erfolgreich!
Traditionstreffen-Initiator Lutz Landgraf (60) (< Foto, links, mit Michael Nikolay) - selbst einer der erfolgreichsten Trainer des SC Dynamo und danach des SC Berlin, der den momentan letzten deutschen Turn-Olympiasieger
Andreas Wecker 1996 im Georgia Dome von Atlanta zu Reck-Gold führte, allein mit Wecker 25 internationale Medaillen errang und der schon zuvor in Berlin die Olympia-, WM- und EM-Teilnehmer,
wie die
Hoffmann-Brüder, Torsten Mettke, Holger Zeig, nach der Wende
Peter Nikiferow, Daniel Farago, Stefan Herbrich und viele andere führte (- und den der DTB mit gerade mal 55 Jahren in den Ruhestand schickte), gab sich gestern Abend äußerst zufrieden:
Lutz Landgraf: "Im Vorjahr waren wir um die 35, diesmal über 50 Leute, das ist riesig und zeigt, dass der Sport im Leben von Menschen tiefe, andauernde Spuren hinterlässt, die nicht allein mit Siegen oder Medaillen zu erklären sind und die menschlich tiefer gehen und wertvoller sind, als allein oberflächliche zeitpolitische Beschreibungen. Wir Ex-Dynamos waren zwar die Initiatoren, aber wir wollen das mehr und mehr zum echten Traditionstreffen der ganzen Berliner Turnszene werden lassen! Ich bin mir sicher, im Jahr der Europameisterschaften 2011 in Berlin folgt die dritte Auflage!"
(c) GYMmedia INTERNATIONAL
- ehe -