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... zur Frankfurter Buchmesse |
Zeitgleich zur Turn-WM 2014 und deren ungezählten Vorwärts- und Rückwärtssalti im fernen Nanning ging am Sonntag auch die Frankfurter Buchmesse zu Ende.
Selten genug beschäftigt sich die Literatur mit KUNSTTURNEN, als einem Teil der komplexen historischen Entwicklung einer Sportart, die wie kaum eine andere so mit den Läufen und Zeitenwenden deutscher Geschichte verknüpft ist.
Der Klett-Cotta-Verlag stellte dort in Frankfurt / Main einen Roman der FAZ-Sportredakteurin Evi Simeoni vor:
„Rückwärtssalto“ – „Antonia war Turnerin. Sie ging davon aus, dass sie so geboren war.“ So beginnt der Roman „Rückwärtssalto“ von Evi Simeoni.
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Holger Kühner (SWR) |
SWR-Journalisten-Kollege Holger KÜHNER hat das Buch bereits gelesen:
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Antonia ist elf Jahre alt, als sie im Fernsehen die olympischen Turnwettkämpfe von 1972 in München sieht und von der Barren-Übung der russischen Kind-Frau Olga Korbut vollkommen in Bann gezogen wird. „Das Mädchen turnte in einem schwerelosen, zeitfreien Extra-Raum“, schreibt die Autorin. „Die Bewegung erschien Antonia so langsam, als drehte Olga sich durch Gelee“.
Diese Übung, mit der der Roman beginnt, wird das weitere Leben der Turnerin im Roman bestimmen. Sie erlebt die wunderbaren Seiten des Sports, die Freude, Dinge zu lernen, von denen sie nicht geahnt hatte, dass sie sie jemals können würde. Das Gefühl der Schönheit und Eleganz, den Erfolg, bei dem es „Sterne regnet“. Aber auch die Schattenseiten, den Schmerz, das Schlankheitsdiktat, die Angst vor dem Versagen, und die Abhängigkeit von ihrem Trainer Henz.
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„Rückwärtssalto“ ist nicht nur ein Roman über Turnen!
Evi Simeoni nutzt die starke Symbolsprache der Sportart, um eine bewegende Geschichte zu erzählen. In neun Kapiteln, die neun Monate umfassen, schildert sie den Abschied zweier Frauen, der alten, von einem Schlaganfall aus dem Leben gefallenen Mutter Elsa und ihrer inzwischen fast 50 Jahre alten Tochter. Sie nutzen die kurze Zeit, um ihre jahrzehntealten Konflikte noch einmal zu durchleben. Endlich sind beide in der Lage, einander zuzuhören und es gelingt ihnen, sich zu versöhnen. Im Lauf des in vielen Rückblenden erzählten Romans – daher der Titel „Rückwärtssalto“ – offenbart sich beiden eine wichtige Erkenntnis: Sie glaubten, einander nicht zu verstehen, und haben ihre beiden Leben doch nach dem gleichen Muster geführt. Beide waren bis über die Grenzen der Selbstschädigung hinaus abhängig von einem Mann, der es nicht gut mit ihnen meinte.
Von Anfang an bildeten Antonia und ihr Trainer eine enge, für alle anderen, auch Antonias Eltern, unzugängliche Einheit. Die Bindung wird noch stärker dadurch, dass Antonia sich in ihrem Elternhaus fremd und missverstanden fühlt. Eine eindrückliche Szene im Roman schildert, wie hilflos Antonia ohne ihren Trainer Henz ist: Viele Male scheitert sie im Training am Abgang vom Stufenbarren, den sie eigentlich kann - nur, weil Henz sie mit Nichtachtung bestraft. Als er sich ihr wieder zuwendet, klappt das Element wieder ohne Probleme.
Henz und Antonia werden ein Paar, heiraten, und noch jahrzehntelang dominiert er ihr Leben. „Sie wollte“, heißt es im Roman, „dass von ihm alles abhing. Dass alles gut war, wenn er sie lobte. Dass sie sich in den Schlaf weinen musste, wenn er unzufrieden war.“
Die Turn-Szenen sind realistisch und detailliert geschrieben. Schließlich ist Evi Simeoni seit vielen Jahren Sportredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat unter anderem von zehn Olympischen Spielen berichtet und auch über Turnen geschrieben. Doch von der journalistischen Sprache hat sie sich in ihrem Roman weit entfernt. Ihre zum Teil poetischen Beschreibungen der Turn-Szenen sind deshalb für Menschen, die den Sport lieben, ein ganz besonderes Spracherlebnis.
Evi Simeoni gelingt es aber auch eindrucksvoll die Schattenseiten einer Sportart zu beschreiben – wie beispielsweise die notwendige Selbstdisziplin dieser riskanten Sportart auch in die Abhängigkeit von „Helfern“ führen kann, bis hin zur Selbstaufgabe - beklemmend geschrieben, weil so realitätsnah. Auf ähnlich sinnliche Weise beschreibt Evi Simeoni aber auch Antonia’s Lust, eine Erdbeertorte zu verspeisen. Oder die Kleider ihrer Mutter, einer Schneiderin, die leichte Seide und die schwere Wolle aus denen sie genäht sind. „Rückwärtssalto“ ist ein Roman für Leute, die sich von einer aufwühlenden Geschichte fesseln lassen und sich mit den tieferen Wahrheiten des Sports befassen wollen.
* Holger Kühner : ♦ Evi Simeoni ► Rückwärtssalto Klett-Cotta, € 19,95
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Evi Simeoni |
<< Evi S I M E O N I :
- ist seit 1981 als Redakteurin im Sportressort bei der FAZ tätig. 2012 erschien ihr Debütroman “Schlagmann” bei Klett-Cotta.
1981 wurde sie mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. 1996 und 2012 wählten sie verschiedenen Fachjurys zur „Sportjournalistin des Jahres“.1997 hatte sie den Fair-Play-Preis für Sportjournalismus erhalten.
Bezeichnet sich als "sportlich", war aber selbst nach eigener Aussage "nicht talentiert genug, dass es für eine Leistungssportkarriere gereicht hätte".
Damals sagte sie: "Ja, ich liebe Leistungssport und ich stehe ihm kritisch gegenüber. Das kommt automatisch, wenn man sich das näher anguckt. Im Laufe meiner Tätigkeit als Sportjournalistin habe ich sehr viele Momente gesehen, wo ich gemerkt habe, dass das nicht mehr vertretbar ist, weil der Sport eben Grenzen überschreitet. Er will Rekorde sprengen, er überschreitet körperliche Leistungsgrenzen, er überschreitet psychische Leistungsgrenzen. Das ist im Risikobereich, aber da können auch Dinge passieren, die man nicht mehr vertreten kann.