29. Juni 2003
Bern / Schweiz
Gerätturnen
Auch die Schweiz kürt jüngsten Meister der Geschichte
Mit dem erst 18-jährigen Aargauer Niki Böschenstein und der Titelverteidigerin Annelore Collaud (Nyon) gewannen die Topfavoriten an den Schweizer Meisterschaften im Kunstturnen in der Berner Wankdorfhalle die Goldmedaillen im Mehrkampf.
Insgesamt prägten neue Namen die Szene, das Niveau war unterschiedlich: Bei den Männern fielen die Junioren positiv auf, bei den Frauen lagen die Turnerinnen der nationalen Leistungsklasse („Amateure“) mit Ausnahmen meilenweit hinter der Elite.
Böschenstein, der jüngste Schweizer Meister im Mehrkampf aller Zeiten, war schon in den letzten internationalen Wettkämpfen der beste Allrounder und siegte schliesslich überlegen (0,95 Punkte Vorsprung) vor Andreas Schweizer, dem Meister des Jahres 2000. Wie schon letztes Jahr ging der Zweikampf Collaud –Melanie Marti (Haslen GL) knapp zu Gunsten der 18-jährigen Waadtländerin aus (2002: 0,05 Punkte Vorsprung, 2003: 0,15). Die Glarnerin hatte den Titel bereits in der Startdisziplin mit zwei Stürzen vom Balken vergeben.
Die Wettkämpfe, vor allem die Finals vom Sonntag, standen im Zeichen des Nachwuchses. Die Luzernerin Ariella Kaeslin, 16 Jahre alt und erstmals bei er Elite, wurde Dritte im Mehrkampf und gewann Gold beim Sprung und am Stufenbarren sowie Silber auf dem Balken und am Boden. Am Balken entschied der tiefere Ausgangswert Collauds (9,40) bei Punktgleichheit gegen Kaeslin (9,50) bei gleichem Endwert (8,675).Am Boden gewann Marti nach Silber beim Sprung und Bronze am Stufenbarren. Nur sechs Turnerinnen teilten sich die total 15 Medaillen unter sich auf. Bianca Kehrli aus Oberwil BL sicherte sich am Boden Bronze mit mageren 7,825 Punkten, weil Collaud auf den Final verzichtet hatte.
Der Sechskampf der Männer war gekennzeichnet von Fehlern des Titelverteidigers Roman Schweizer (Pferd, Sprung, Reck), so dass er als Vierter ohne Medaille blieb. Die fehlende Wettkampfpraxis nach überstandener Fersenverletzung war unübersehbar. Niki Böschenstein, der gesamthaft die klar schwierigsten Übungen turnte (Ausgangswert total 58,6 Punkte von 60 möglichen), beging nur einige Haltungsfehler, weshalb sein Sieg nie in Frage stand. Andreas Schweizer trumpfte an den Ringen mit der absoluten Höchstnote der ganzen Meisterschaften (9,60) auf, sonst wirkte er nach seiner Bauchmuskelzerrung noch nicht so souverän wie normal. Dafür erwies sich Mark Ramseier (19), ein weiterer Aargauer, erneut als zuverlässiger, standsicherer Allrounder.
Überraschungsmann im Sechskampf war der 17-jährige Claudio Capelli (BTV Bern), der als Einheimischer seine Anhänger nicht enttäuschte und Fünfter wurde. Kevin Bachmann (Sechster) vergab eine bessere Klassierung am Pferd. Roger Sager hat sich von seiner Ellbogenverletzung noch nicht ganz erholt und verlor am Pferd, Barren und am Reck (Abgang) mehrere Zehntel.
Die Gerätefinals der Männer boten hervorragenden Sport. Vor allem beim Bodenturnen und beim Sprung waren die Fortschritte unverkennbar. Ein einziger Sturz bei zwölf Sprüngen hat Seltenheitswert, und dies alles bei Ausgangsnoten von 9,70 und mehr.
Niki Böschenstein, als einziger Turner in allen sechs Finals, gewann einmal Gold (Barren), zweimal Silber (Boden und Pferd) sowie einmal Bronze (Sprung), dazu wurde er Vierter am Reck sowie Sechster an den Ringen (Sturz beim Dreifachsalto). Positiv überrascht haben vor allem Kevin Bachmann (Bülach), erst seit einem halben Jahr im Nationalkader, und der Schaffhauser „Oldie“ Martin Fuchs, der vor Eineinhalbjahren aus dem Nationalkader zurückgetreten war. Der 21-jährige Zürcher gewann am Boden (mit Ausgangsnote 10) sowie im Pferdsprung (knapp vor Patrick Dominguez). Dazu wurde er Dritter an den Ringen. Er brachte sich damit endgültig ins Gespräch für eine WM-Selektion.
Fuchs, mit 30 Jahren der älteste Teilnehmer der Meisterschaften, hatte sich in letzter Zeit mit acht Stunden Training pro Woche vorbereitet, wurde im Sechskampf Siebter und gewann an seinen Paradedisziplinen Pferd und Reck. „Ich war mit dem Ziel nach Bern gekommen, einen Finalplatz zu erreichen. Und nun dies...“ Kunstturnen hat in nächster Zeit für Martin Fuchs nur zweite Priorität. Zuerst kommt jetzt Ende Juli die Gymnaestrada in Lissabon, wo der mit einer Schaffhauser Gruppe antreten wird. Der Kampf um den Titel an den Ringen war eine Angelegenheit der Brüder Schweizer (Andreas vor Roman), weil sich Mark Ramseier zu viele kleine Haltungsfehler leistete. Alle drei turnten eine Übung mit dem Ausgangswert 10. Besser als am Samstag lief es Roger Sager, obwohl er sich mit einer bronzenen Auszeichnung am Boden zufrieden geben musste. Am Reck zeigte er seine beiden Flieger (Kovacs gestreckt und gehockt mit Schraube), wurde aber von seinem Bruder Philipp geschlagen. Positiv auch der Auftritt von Christoph Schärer (Bronze am Pferd, Silber am Reck) nach seiner Knieverletzung, die ihn immer noch behindert. Den entscheidenden Zehntel verlor er am Reck gegen Martin Fuchs mit einem Rückschritt nach dem Abgang.
(Source: STB/FSG)