16. Februar 2011  
Berlin  
Gerätturnen

18. Juni 2011: 200 Jahre Hasenheide - Wiege des deutschen Vereinssports

Bei der Vergabe des Wissenschaftspreises des DOSB kürzlich in Tübingen hob Dr. Thomas BACH als Festredner die Bedeutung der Sportwissenschaft für die Sportentwicklung, insbesondere ihre Zukunftsgestaltung hervor.
Nur einen Tag später hielt beim Deutschen Turntag Bundestags-Präsident Norbert Lammert das andere Ende des Fadens in der Hand, indem er ausdrücklich daran erinnerte, dass der imposante deutsche Vereinssport vor genau 200 Jahren seinen Anfang mit einem Turnplatz in der Hasenheide bei Berlin genommen hatte. Hundert weitere folgten binnen kurzer Zeit...

<< Derweil hat es das Grün am historischen Standort des Denkmals des deutschen Turnvaters Friedrich Ludwig JAHN nach 200 Jahren noch nicht ganz geschafft, den "Mann im Barte" völlig zu überwuchern.
Man sieht ihn gerade noch, wenn auch auf bröckelndem Sockel, in traurigem Zustande, in alte Zeiten blickend ...

Die einst gepflegte Anlage des Denkmals von Friedrich Ludwig JAHN
in der Berliner Hasenheide

* Postkarte 1904

Hasenheide Berlin, Turnplatz
Lithographie um 1858

Bis heute sind diese Impulse bei gerätereichen Fitnessstudios, Hochseilgärten oder Kinderbewegungshallen lebendig, hat der talentierte Vorturner in der Übungsleiterausbildung sein System gefunden, hat die von Jahn apostrophierte „Turnkunst“ ihren Nachfolger in der Sportwissenschaft, sind die ersten Feierstunden auf dem Turnplatz zu internationalen Turnfesten gewachsen.
Vor allem bleiben sie die Grundlagen unseres Vereinssystems:
Freier Zugang für alle, offener Austausch der Interessen und Meinungen, Transparenz der Entscheidungen, gleiche Wahl bei Gremien, Vergabe von Macht auf Zeit.
Dieses sind die Grundlagen für die bleibende Attraktivität und Flexibilität des Vereinssports – man wird schwerlich etwas Gleichwertiges erfinden.

Es ist insofern verständlich und erfreulich, dass
- der Deutsche Turner-Bund (DTB) das ganze Jahr mit seinen Vereinen dieses Jubiläum lebendig hält,

Marmorbüste Jahns in der Walhalla zu Regensburg

Als ich dort, am selbigen Ort der Berliner Hasenheide, vor wenigen Monaten, Delegationen von an deutscher Turngeschichte interessierten Japanern und später Briten hinführte, fand ich die Gesamt-Denkmalsanlage Friedrich Ludwig Jahns in einem solchen traurigen Zustande vor, dass ich mich schämte:
<< Kaum noch lesbare, verwitterte Tafeln aus über 150-jähriger Denkmalsgeschichte, einst angebracht von Turnvereinen aus der ganzen Welt, in die doch die jahnsche Bewegungsidee einen unglaublichen Siegeszug angetreten hatte!
Der Putz bröckelte an allen Ecken und Enden und seltsame "Hinterlassenschaften" von diversen Vier- und Zweibeinern machten den Versuch des Rundgangs um den Denkmalssockel zu keiner ungefährlichen Sache ....
Dabei erkläre man mal als deutscher Journalist Ausländern den Umgang mit der eigenen deutschen Geschichte, wenn selbst  d ie Gäste über profunde Kenntnisse über Jahns Leben, Schaffen und seine nachhaltigen Ideen verfügen, entsprechende Neugier entwickeln ...
.... dann aber - hier auf historischem Grund und in Realität - eher den Verfall, denn eine angemessenen Würdigung zu sehen bekommen.
Dabei haben im Verlaufe der zwei Jahrhunderte Vereine und Einzelpersonen aus aller Welt sich per Ehrentafel am Sockel verewigt.
Besonders präsent ist die auf deutsche Wurzeln verweisende amerikanische Turnerschaft aus Philadelphia, Chikago und anderswo ...

Wenn wenigstens jeder deutsche Verein, der doch so auf seine geschichtlichen Wurzeln bedacht ist, nur wüsste, dass hier am Jahnsockel gerade sein letzter Schriftzug sein kaum noch lesbares Dasein aushaucht ...

Was sagte doch diese Woche Deutschlands Fußball-Teammanager Oliver Bierhoff:
"Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Turnen in Deutschland mal wichtiger war als Fussball."
... doch, Herr Bierhoff: Hier am Sockel sind diese Veränderungen leider ablesbar, eben an dieser verfallenden, ungepflegten Jahn-Pilgerstätte!
Eine vor 50 Jahren raffiniert geschnittenen Ecke dagegen oder gar ein Tor, führen noch heute zu Zungenschnalzen und zu Glorifizierungen von unvergessenen Fußballhelden.
Da macht doch die Turnerei etwas falsch, denn nicht nur der olle Jahn hat es scheinbar schwerer ...!

Modellanlage (Hintergrund) des geplanten hinduistischen Sri Ganesha-Tempels zu Füßen des Denkmals des Turnbegründers Friedrich Ludwig Jahn...;
man wünschte sich im Lande der freien Religionsausübung aber auch einen angemessenen Umgang mit der eigenen Geschichte!

* ... lesen Sie dazu auch:
Hindu-Tempel statt Jahn-Pilgerstätte
von Dr. Andreas Müller in
'Olympisches Feuer' 4/5-2010