Jahndenkmal im 'Grünen' |
Bei der Vergabe des Wissenschaftspreises des DOSB kürzlich in Tübingen hob Dr. Thomas BACH als Festredner die Bedeutung der Sportwissenschaft für die Sportentwicklung, insbesondere ihre Zukunftsgestaltung hervor.
Nur einen Tag später hielt beim Deutschen Turntag Bundestags-Präsident Norbert Lammert das andere Ende des Fadens in der Hand, indem er ausdrücklich daran erinnerte, dass der imposante deutsche Vereinssport vor genau 200 Jahren seinen Anfang mit einem Turnplatz in der Hasenheide bei Berlin genommen hatte. Hundert weitere folgten binnen kurzer Zeit...
<< Derweil hat es das Grün am historischen Standort des Denkmals des deutschen Turnvaters Friedrich Ludwig JAHN nach 200 Jahren noch nicht ganz geschafft, den "Mann im Barte" völlig zu überwuchern.
Man sieht ihn gerade noch, wenn auch auf bröckelndem Sockel, in traurigem Zustande, in alte Zeiten blickend ...
Die einst gepflegte Anlage des Denkmals von Friedrich Ludwig JAHN
in der Berliner Hasenheide
* Postkarte 1904
Hasenheide Berlin, Turnplatz |
200 Jahre Hasenheide – Die Wiege des Vereinssports* - von Hans Jürgen Schulke
In der Tat ist das öffentliche Turnen im Juni 1811, initiiert durch den jungen Hilfslehrer Friedrich Ludwig Jahn, alles andere als eine Episode jugendlichen Übermuts oder modischer Torheit geblieben. Bis zu 500 freiwillige Teilnehmer an einem Nachmittag ließen ahnen, dass daraus eine Massenbewegung werden sollte. Selbst das politisch motivierte Verbot der Turnplätze nach nur acht Jahren konnte das nicht aufhalten.
Das Konzept des Turnplatzes nahm die Ideen der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf und machte sie praktisch. Ein freier und für alle offener Platz mit vielen Geräten und individuellen Bewegungsmöglichkeiten, die Gleichberechtigung aller Beteiligten und nicht zuletzt die brüderliche Zuwendung bei Hilfestellung und gemeinsamen Spielen war in einem Obrigkeitsstaat mit seiner Paukschule etwas völlig neues, faszinierte die jungen Leute über alle Standesgrenzen und verband sie auf das Tiefste.
Jahnsches Klettergerüst, 1995 aus Anlass der 10 Weltgymnaestrade in einem temporären, historischen Turgarten als 'potjomkinsches Dorf'' errichtet - dann leider wieder abgebaut ... |
Bis heute sind diese Impulse bei gerätereichen Fitnessstudios, Hochseilgärten oder Kinderbewegungshallen lebendig, hat der talentierte Vorturner in der Übungsleiterausbildung sein System gefunden, hat die von Jahn apostrophierte „Turnkunst“ ihren Nachfolger in der Sportwissenschaft, sind die ersten Feierstunden auf dem Turnplatz zu internationalen Turnfesten gewachsen.
Vor allem bleiben sie die Grundlagen unseres Vereinssystems:
Freier Zugang für alle, offener Austausch der Interessen und Meinungen, Transparenz der Entscheidungen, gleiche Wahl bei Gremien, Vergabe von Macht auf Zeit.
Dieses sind die Grundlagen für die bleibende Attraktivität und Flexibilität des Vereinssports – man wird schwerlich etwas Gleichwertiges erfinden.
Es ist insofern verständlich und erfreulich, dass
- der Deutsche Turner-Bund (DTB) das ganze Jahr mit seinen Vereinen dieses Jubiläum lebendig hält,
Marmorbüste Jahns in der Walhalla zu Regensburg |
- die dvs –Historiker ein Symposium durchführen,
- die Jahn-Gesellschaft eine Feier am originalen Ort des Geschehens feiert, auf dem freilich sonst nichts mehr davon zu sehen ist.
Zeitschriften und Bücher werden sich des Thema
* KOMMENTAR von Eckhard Herholz
European Gymnastics Service, GYMmedia INTERNATIONAL________________________________________________________
... soweit zu den Redenschreibern und den Würdigern zur Rolle der Bedeutung.
Das liest sich alles immer prächtig und salbungvoll.
... ob man wenigstens deutsche Turnvereine zu eigener Imagepflege bewegen könnte...? |
Als ich dort, am selbigen Ort der Berliner Hasenheide, vor wenigen Monaten, Delegationen von an deutscher Turngeschichte interessierten Japanern und später Briten hinführte, fand ich die Gesamt-Denkmalsanlage Friedrich Ludwig Jahns in einem solchen traurigen Zustande vor, dass ich mich schämte:
<< Kaum noch lesbare, verwitterte Tafeln aus über 150-jähriger Denkmalsgeschichte, einst angebracht von Turnvereinen aus der ganzen Welt, in die doch die jahnsche Bewegungsidee einen unglaublichen Siegeszug angetreten hatte!
Der Putz bröckelte an allen Ecken und Enden und seltsame "Hinterlassenschaften" von diversen Vier- und Zweibeinern machten den Versuch des Rundgangs um den Denkmalssockel zu keiner ungefährlichen Sache ....
Dabei erkläre man mal als deutscher Journalist Ausländern den Umgang mit der eigenen deutschen Geschichte, wenn selbst d ie Gäste über profunde Kenntnisse über Jahns Leben, Schaffen und seine nachhaltigen Ideen verfügen, entsprechende Neugier entwickeln ...
.... dann aber - hier auf historischem Grund und in Realität - eher den Verfall, denn eine angemessenen Würdigung zu sehen bekommen.
Dabei haben im Verlaufe der zwei Jahrhunderte Vereine und Einzelpersonen aus aller Welt sich per Ehrentafel am Sockel verewigt.
Besonders präsent ist die auf deutsche Wurzeln verweisende amerikanische Turnerschaft aus Philadelphia, Chikago und anderswo ...
Wenn wenigstens jeder deutsche Verein, der doch so auf seine geschichtlichen Wurzeln bedacht ist, nur wüsste, dass hier am Jahnsockel gerade sein letzter Schriftzug sein kaum noch lesbares Dasein aushaucht ...
Was sagte doch diese Woche Deutschlands Fußball-Teammanager Oliver Bierhoff:
"Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Turnen in Deutschland mal wichtiger war als Fussball."
... doch, Herr Bierhoff: Hier am Sockel sind diese Veränderungen leider ablesbar, eben an dieser verfallenden, ungepflegten Jahn-Pilgerstätte!
Eine vor 50 Jahren raffiniert geschnittenen Ecke dagegen oder gar ein Tor, führen noch heute zu Zungenschnalzen und zu Glorifizierungen von unvergessenen Fußballhelden.
Da macht doch die Turnerei etwas falsch, denn nicht nur der olle Jahn hat es scheinbar schwerer ...!
Mit Geldmangel...
... erklärte unlängst zur EM-Pressekonferenz Berlins Innensenator Dr. Ehrhart Körting den eklatanten und für eine Kulturmetropole peinlichen Zustand des Friedrich Ludwig Jahn-Denkmals in der Hasenheide
Gemeinsam mit dem zuständigen Bezirksamt Neukölln war er vor Ort, und man hatte dabei schon die dringende Notwendigkeit der Sanierung erkannt.
Wenigstens hat der Stadtbezirk nach Aussage Körtings "eine optische Grundreinigung der Anlage" zugesagt.
Die Mittel für eine effiziente, der historischen Bedeutung adäquate Grundsanierung, hätte man leider nicht zusammen bekommen, denn
"... die gesamte Anlage müsste verändert werden. Das aber übersteigt die Möglichkeiten des Hauses", so Körting im Januar in Berlin.
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Modellanlage (Hintergrund) des geplanten hinduistischen Sri Ganesha-Tempels zu Füßen des Denkmals des Turnbegründers Friedrich Ludwig Jahn...; |
Als ich vor wenigen Monaten Jahn besuchte, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass es dort am Fuße des Turnplatz-Begründers doch auch mächtige Investitionen gibt:
Für den Tempel einer indischen Gottheit ist in Blickkontakt mit dem Manne im Barte der Grundstein für einen Tempel gelegt! Ich weiß nicht für wieviele Millionen, aber dass man dort in Kürze der elefantenköpfigen Gottheit Sri Ganesha huldigt, wird sicher den hinduistischen Gläubigen dieser Stadt gerecht, aber meine ausländischen Begleiter schüttelten eher ungläubig die Köpfe über meine Erklärungsversuche. Und dass doch eher Jahn Teil deutscher Geschichte sei, wurde zu einer gänzlich wirkungslosen Floskel.
GANESHA - OM Sri maha Ganapataye namah
Verbeugung vor dem großen Gott Ganesha.
Der elefantenköpfige Gott verkörpert Glück und Weisheit, Kraft und Standfestigkeit. Er beseitigt Hindernisse und bringt Erfolg.
OM ist der ursprünglichste, mächtigste Mantraklang. Er ist Teil nahezu jeden anderen Mantras und dient dazu, reine, höchste Schwingungen zu erwecken. Sri ist eine Bezeichnung des verehrenden Respekts vor Ganesha, dem elefantenköpfigen Gott, der Kraft und Standhaftigkeit darstellt.
... wenn das der olle Jahn wüsste!' |
Kulturstadt Berlin
"Berlin wird nicht nur von Industrien geprägt, sondern wie Paris, London und andere Metropolen - als Kulturmetropole, und weil Events Metropolen prägen und wegen des kulturellen Umfeldes, kommen nachgerade die Firmen und das Business immer wieder gern zurück oder siedeln sich an", so Ehrhart Körting letztens zu besagter Pressekonferenz vor der Turn-EM zu Füßen des Turnplatzbegünders und zur Begründung der Notwendigkeit einer hochkarätigen "Event-Kultur".
Gerade angesichts der Skyline des Potsdamer Platzes und der Milliardensummen in protzige Repräsentativbauten investierten Geldmittel ist die Pflege des historischen Backgrounds so wichtig.
Berlin ist ohne seine Geschichte nichts - im Gegenteil: Geschichte macht diese Stadt erst aus! Jahn ist Teil nicht nur dieser Geschichte, sondern der deutschen. Zurecht wird sein Stellenwert im Museum für Deutsche Geschichte gewürdigt!
Probleme mit Jahn ...?
Die haben nur und in Regelmäßigkeit immer mal wieder oberflächliche Kleingeister und Kurzdenker, die die komplexen Eigenschaften einer geschichtsträchtigen Persönlichkeit nicht zu erkennen vermögen. Flüchtigkeiten dahingeworfener, sich im jeweiligen politischen Mainstream befindender Argumente sowie Missbrauch aber auch überzogene Huldigung von Jahn-Apologeten gab es in nahezu allen Zeiten. Die gab es im Kaisereich, zur Nazizeit, in der DDR, in Alt-Bundesdeutschland und noch immer auch heute.
Letztlich blieben sie über die 200 Jahre hin wirkungslos.
Das spricht f ü r Jahn!
Friedrich Ludwig JAHN ist und bleibt somit eine historische Persönlichkeit der deutschen Geschichte, die auch und gerade w e g e n seiner Widersprüchlichkeit Bleibendes geschaffen und ins gesellschaftliche Gedächtnis gepflanzt hat.
Nur eines verstehe ich nicht ganz: Muss man sich gerade von ausländischen Besuchern an sein historisches, nationales Bewusstsein erinnern lassen? Das ist eigentlich oberpeinlich!
Eckhard Herholz
GYMmedia INTERNATIONAL